Abschlussbericht Projekt Koloniebildung (1999)

IV. Skizze zu einer Geschichte der Selbstorganisation der deutsch-türkischen Minderheit von Hannover

Die 50er Jahre

Im Jahre 1950 wurde mit der Immatrikulation des (neuerlich) ersten Studenten aus der Türkei an der Technischen Hochschule ein neues Kapitel in den hannoversch-türkischen Beziehungen aufgeschlagen. Hannover erwies sich nämlich rasch als regelrechter Magnet für Ingenieursstudenten aus der Türkei. Ihre Zahl stieg stetig, bis im Jahr 1962 mit 90 eingeschriebenen Studenten aus der Türkei ein vorläufiger Höchststand erreicht wurde.[1]

Rechnet man türkische HochschulabsolventInnen auf Suche nach Praktikumsplätzen hinzu, so machten die Bildungsmigranten bis 1960 ungefähr die Hälfte aller türkischen Staatsangehörigen in Hannover aus (siehe Tabelle 2). Wie kam es zu solch einer — auch im bundesweiten Vergleich überdurchschnittlichen — Konzentration von Studenten aus der Türkei in Hannover?[2] Schließlich muß man berücksichtigen, daß Hannover in den frühen 50er Jahren immer noch weitgehend in Trümmern lag, allgemeine Wohnraumnot und Zwangsbewirtschaftung herrschte und daß auch die Gebäude der TH — selbst unter höchstem Arbeitseinsatz der ersten Studierenden — nur notdürftig hatten repariert werden können. Die türkischen Studenten hingegen kamen aus einem Land, das von kriegsbedingten Zerstörungen verschont geblieben war[3] und wirtschaftlich in der ersten Hälfte der 50er Jahre vergleichsweise gut dastand. Die Ruinenlandschaften der ausgebombten deutschen Städte mit ihrem massenhaften Flüchtlingselend konnten ihnen kaum sonderlich attraktiv erscheinen.

Antworten auf diese Fragen brachten Interviews mit ehemaligen Studenten dieser Zeit: Zum einen war ein Studium in Deutschland in den 50er Jahren — dank des staatlich fixierten Tauschkurses von 1 DM zu 0,67 TL — nicht teuerer als eines in Istanbul oder Ankara. Zum anderen verfügt die Türkei mit je einer Universität und einer TU in Istanbul, sowie der 1955 neu eröffneten Technischen Universität Ankara über ganze drei wissenschaftliche Hochschulen, die den gesamten akademischen Nachwuchs des Landes ausbilden mußten. In manchen Bereichen wie z.B. Bauwesen gab es deshalb einen Mangel an Studienplätzen. Außerdem konnte man an einer Technischen Hochschule, wie es sie damals in der BRD außer in Hannover noch in acht weiteren Städten[4] gab, den Ingenieurstitel in nur 8 Semestern erlangen. In der Türkei hingegen, wo es nur reguläre Universitäten gab, wurden immer volle 10 Semester (wie an den BRD-Universitäten) benötigt. Selbst wenn man also ein Vorbereitungssemester für das Erlernen der deutschen Sprache abzog, kam man über den Umweg des Auslandsstudiums an einer TH schneller zum Ziel.

„Erst einmal sind es an einer Technischen Hochschule vier Jahre, bei uns waren es fünf Jahre an der Universität, um Bauingenieur zu werden. Hier hat es an der Universität, z.B. in Berlin, auch fünf Jahre gedauert, aber an den Technischen Hochschulen waren es damals vier Jahre. [...] Beide bekamen den Diplom-Ingenieur, später fragte doch keiner. Dann sagten wir uns, Mensch! Da haben wir unter uns ausgemacht: vier Jahre Studium, ein halbes Jahr können wir Deutsch lehren (imitiert die Stimme eines überheblichen Jugendlichen) und ein halbes Jahr können wir ein bißchen in Deutschland rumreisen. Dann nach fünf Jahren haben wir eine Sprache und ein Diplom in der Tasche und können zurückkommen. So haben wir uns das ausgemalt, sozusagen.“

(Auszug dem Gespräch mit Kemal Poyraz, der 1957 in Hannover zu studieren begann)

Dies dürfte zu einem großen Teil erklären, warum von den insgesamt 418 türkischen Studierenden, die zusammen mit Herrn Poyraz zum Wintersemester 1957/58 in Westdeutschland und West-Berlin das Studium aufnahmen, sich 333 (79,7%) an einer Technischen Hochschule einschrieben.[5]

In Großstädten wie Ankara halfen spezialisierte Dolmetscherbüros den Interessenten dabei, Studienplatzbewerbungen gleich im Dutzend an BRD-Hochschulen zu verschicken, so daß manche schließlich mehrere Zusagen aus verschiedenen Städten zu Auswahl hatten. Für die Wahl des Studienortes Hannover sprach dann offenbar die Mundpropaganda unter den angehenden Studenten im vorbereitenden Sprachunterricht: Dort sollte das auf der Straße gesprochene Deutsch noch die größte Ähnlichkeit mit jenem Schriftdeutsch haben, welches sie in den Deutschkursen beispielsweise der Goethe-Institute beigebracht bekamen.

Die 60er Jahre

Der Türk Talebe Cemiyeti (1960)
Als sich 1960 etliche Studenten aus der Türkei in Hannover zusammentaten, um sich förmlich als Studentenverein an der TH zu konstituieren, markierte das zum einen, daß die türkische community in Hannover so groß geworden war, daß sie eine formal legitimierte Interessenvertretung brauchen konnten. Paradoxerweise signalisierte dieser Schritt zugleich aber auch den Beginn vom Ende der studentisch dominierten Frühphase. Heute, am Ende der 90er Jahre, bilden die Studierenden innerhalb der deutsch-türkischen Minderheit von Hannover nicht nur zahlenmäßig mit nicht einmal 1,5% eine marginale Größe, auch in der Vereinslandschaft spielen sie nur eine geringe Rolle.[6] Im Jahre 1960 hingegen war der frischgegründete Türk Talebe Cemiyeti (dt.: Türkischer Studentenverein) nicht nur die erste und einzige Selbstorganisation und Vertretung türkischer Staatsbürger in Hannover, sondern gemäß dem Selbstverständnis der Gründer waren sie alle — ob Studenten oder nicht — automatisch qua türkischer Staatsbürgerschaft „Mitglieder“ des Vereins.

Im Alltag änderte sich allerdings durch die formelle Vereinsgründung sehr wenig. Die Auslandsstudenten in Hannover hatten schon sehr früh die Mensa im „Studentenhaus“ der TH (heute: Theodor-Lessing-Haus) zu ihrem Treffpunkt erkoren, zur Mittagszeit traf man sich in landsmannschaftlichen homogen Grüppchen an festen Punkten in der Mensa. Für die Studierenden aus der Türkei war dies eine Ecke auf der Empore im Hauptspeisesaal:

„Alle ausländischen Studenten, egal wo sie herkamen, trafen sich an besonderen Stellen in der Mensa zum Essen. Wir trafen uns oben auf der Empore in der alten Mensa. Nicht, daß uns dieser Raum gesondert zur Verfügung gestellt worden wäre, sondern wir Türken trafen uns einfach immer bei diesen Sitzplätzen. Mittags traf man halt die Türken da.“

(Auszug aus dem Gespräch mit Ahmet Samsunlu, ehemals Vorsitzender des Türk Talebe Cemiyeti)

Hier lagen auch türkische Tageszeitungen aus, deren Abonnementskosten man sich teilte. Ansonsten traf man sich auch im Georgengarten zum Fußballspielen im Freien und ein bis zweimal im Jahr feierte man größere Feste in den Räumen des Akademischen Auslandsamtes oder Mensa. Dies hatte man schon vor der Vereinsgründung so gehalten und auch ohne formelles Statut genossen die türkischen Studenten bei ihren Aktivitäten beachtliche öffentliche Aufmerksamkeit: Anläßlich einer Feier zum 19. Mai[7] 1957 „erschienen der Rektor der TH, Prof. Dr. Ing. Schlums und der Konsul Izmirli aus Hamburg, Vertreter der Landesregierung, der Wirtschaft und als Vertreter des Oberbürgermeisters, Senator Lehnhoff sowie Generalkonsul Schmelz, Hannover.“[8]

Daß man sich 1960 eine Satzung gab, förmlich einen Vorsitzenden wählte und sich um amtliche Registrierung bemühte, hing letztlich mit der wirtschaftlichen Talfahrt und dem sich daraus ergebenden politischen Umbruch zusammen, welche sich Ende der 50er Jahre in der Türkei anbahnten. Angesichts einer enorm gewachsenen Staatsverschuldung hatte die türkische Regierung 1958 drastischen Maßnahmen zum „Schutz der türkischen Währung“ ergriffen, die vor allem in einem System sehr hoher „Abgabe-Prämien“ auf alle Devisengeschäfte bestanden. In der Praxis kam dies einer Abwertung der türkischen Lira um fast 70% gleich.[9] Zwar befreite eine besondere Ausnahmeklausel[10] den Erwerb von Devisen für den Unterhalt von Studierenden im Ausland von der Abgabepflicht, doch machte ein radikaler währungspolitischer Kurswechsel in der Zeit der Militärregierung nach dem Staatsstreich von 1960 diese Klausel praktisch gegenstandslos.[11] Obwohl später zumindest für die bereits im Ausland befindlichen Studierenden wieder Vorzugstauschkurse eingesetzt wurde, gerieten manche in Finanznot und mußten sich Aushilfsjobs suchen, so auch in Hannover. Durch den Schritt zur Vereinsgründung hoffte man daher vor allem, Hilfen von deutscher Seite einwerben zu können.

„Da hatte man irgendwie gehofft, das war immer das Gespräch, daß man irgendwie auch noch finanzielle Hilfen kriegen könnte. Damals hatte das schon langsam angefangen, einige hatten schon finanzielle Schwierigkeiten.“

(Auszug aus dem Gespräch mit Kemal Poyraz)

Unter den neuen Bedingungen eines drastisch verschlechterten Lira-Kurses wurde ein Studium in der BRD eine kostspielige Angelegenheit. Da gleichzeitig durch staatliche Maßnahmen von deutscher Seite (Feststellungsprüfung, Kolleg-Zwang etc.) der Zugang beschränkt wurde, begann die Zahl der Studien-Neuzugänge aus der Türkei zu sinken.[12] Bundesweit schrieben sich zum Wintersemester 1962/63 nur noch 258 türkische Studenten neu ein, während es zum Wintersemester 1957/58 noch 418 gewesen waren — ein Rückgang um über 60 Prozent. Verglichen mit dem noch dramatischeren Verfall der türkischen Erstsemesterzahlen an der TH Aachen (von 89 auf 8), fiel der Rückgang an der TH Hannover moderat aus. Doch auch hier sank die Zahl der Neueinschreibungen zum WS'62/63 auf 13 (WS'57/58: 20).[13] Da zudem die „Alt-Studenten“, also jene, die noch unter den alten Bedingungen zu Ende studieren durften, nach und nach graduierten oder aus anderen Gründen das Studium beendeten[14], ging die Zahl der türkischen TH-Studenten in Hannover kontinuierlich zurück. 1968 etwa waren es nur noch 42 — denen zu diesem Zeitpunkt bereits gut 2.000 Nicht-Akademiker gegenüberstanden.

Der Anteil der Studierenden unter den MigrantInnen aus der Türkei in Hannover war somit binnen 7 Jahre von weit über 40 auf gerade noch 2 Prozent gefallen: Die studentisch dominierte, überschaubare und mit vergleichsweise hohem Sozialprestige im hannoverschen Sozialleben versehene community der 50er Jahre hatte sich also in dieser Zeit durch den massiven Zuzug von ArbeitsmigrantInnen in eine „Gastarbeiter“-community mit einer öffentlich kaum noch wahrgenommenen studentischen Randgruppe transformiert.

Der erste Arbeiterverein (1963)
Allerdings — auch wenn so die sich in den 60er Jahren neu in der Stadt etablierenden türkischen communities vorwiegend durch das frisch eingewanderte Arbeitermilieu geprägt wurden — darf der Einfluß der Studierenden und späteren Ingenieure, Ärzte, Architekten etc. auf die weitere Entwicklung nicht unterschätzt werden. Denn anders als in vielen bundesdeutschen Städten hatten diese in Hannover, wie gezeigt wurde, bereits gut eingespielte Formen der Selbsthilfe und Selbstpräsentation für Zuwanderer aus der Türkei gefunden, noch bevor der erste sog. „Gastarbeiter“ überhaupt in der Türkei angeworben wurde. Die Neuankömmlinge betraten also in Hannover keineswegs ‚Neuland‘ und dieser Umstand hatte konkrete Auswirkungen: Als etwa im September 1963 ein „Verein türkischer Arbeitnehmer in Hannover und Umgebung e.V.“ gegründet wurde, ging die Initiative hierfür nicht von den verstreut in Wohnheimen in und um Hannover lebenden Arbeitsmigranten, sondern von den Akademikern aus. Immer wieder waren einzelne Studenten als Orts- und Sprachkundige von Landsleuten um Rat und Dolmetscherdienste gebeten worden. Ahmet Samsunlu, langjähriger Vorsitzender der Türk Talebe Cemiyeti (TTC) zu Anfang der 60er Jahre, erinnert sich: „Es gab keine andere Organisation, wenn jemand krank wurde oder Probleme hatte, kam der zu uns.“ Insbesondere ein bereits in der Praxis stehender Agraringenieur (später einer der ersten türkischstämmigen Touristikunternehmer in Hannover) beschäftigte sich mit der oft problematischen Lebenssituation in den Arbeiterwohnheimen.

„Zu der Zeit kamen bereits mehrere Türken als Gastarbeiter nach Deutschland. Die waren nicht gut organisiert. Wenn ich Zeit hatte, fuhr ich [...] nach Hannover und da habe ich gesehen, wie schlecht die Türken dort lebten.“

(zusammenfassender Auszug aus dem Gespräch mit Arif Aydoğdu)

Als Herr Aydoğdu von der Gründung des bundesweit ersten türkischen Arbeiternehmervereins in Köln hörte, knüpfte er Kontakte dorthin und brachte so den Stein ins Rollen:

„Ich hörte damals eine Sendung im Westdeutschen Rundfunk, die über Vereinsgründungen überall in Deutschland berichtete. Wir haben daraufhin an die Zentrale der Arbeiterwohlfahrt geschrieben, daß wir in Hannover einen solchen Verein gründen wollen und sie uns besuchen sollen und eine Satzung mitbringen. Und dann haben wir den Verein gegründet.“

(zusammenfassender Auszug aus dem Gespräch mit Arif Aydoğdu)

In anderen Städten, wo Arbeits-, nicht Bildungs-Migranten die Pioniere gewesen waren, verlief die Entwicklung in deutlich anderen Bahnen. Dies ist exemplarisch für die Stadt Bamberg durch ein Forschungsprojekt von Lâle Yalçın-Heckmann dokumentiert worden.[15] Die türkische Migration dorthin begann als reine Arbeiter-community und es waren deshalb auch Arbeiter, die hier ohne äußere Hilfe den ersten türkischen Verein gründeten. Dies geschah 1974 — also 14 Jahre später als in Hannover.[16] Zu einer Herausdifferenzierung einer Art Mittelschicht aus selbstständigen Dienstleistern oder Unternehmern kam es in Bamberg erst mit der Etablierung der zweiten Generation. In Hannover hingegen begannen ehemalige Bildungsmigranten schon in den frühen 60er Jahren, sich mit Dolmetscherbüros oder Ex- und Importläden selbständig zu machen. Die türkischstämmige Bevölkerungsgruppe von Hannover war also von Anfang an deutlich sozial geschichtet und differenziert. Vor und neben den Arbeitsmigranten gab es immer auch eine schmale, aber vielfach tonangebende Schicht von Akademikerinnen, Geschäftsleuten und Ingenieuren.

Anders als in Bamberg, wo der „Verein türkischer Arbeitnehmer“ für einige Jahre praktisch alle Mitglieder der dortigen Arbeiter-community zu einer realen face-to-face-Gemeinschaft zusammenbringen konnte,[17] scheint es in Hannover eine vergleichbare Phase weitgehender sozialer Einheit nicht gegeben zu haben. Dies spiegelt sich auch in den Erinnerungen der Zeitzeugen. Einer von ihnen ist Herr Erdoğan[18], der 1960 als 25jähriger Germanistikabsolvent eigentlich nur für ein Praktikum nach Hannover kam, sich aber später als Dolmetscher dauerhaft hier etablierte. Zum Zeitpunkt seiner Ankunft — also 1960 — war das Verhältnis zwischen Bildungs- und anderen MigrantInnen immer noch annähernd Hälfte/Hälfte: von 186 türkischen Staatsangehörigen in Hannover waren allein 82 Studenten der Technischen Hochschule (siehe Tabelle 2).

Für den vorliegenden Zusammenhang ist es nun interessant, daß Herr Erdoğan, im Gespräch auf die Größe der türkischen community in dieser frühen Zeit angesprochen, ohne zu zögern eine exakte, faktisch aber viel zu niedrige Zahl nannte:

„Also, zunächst waren wir 1960 34 Türken in Hannover. Wir haben uns alle bei der Carl-Duisberg-Gesellschaft getroffen und kennengelernt. Wir waren wie eine große Familie, tauschten uns in allen Belangen aus, so gab's kein Heimweh.“ „Wir waren ungefähr 22 Praktikanten, Studenten und der Rest war mehr oder weniger VW- und Varta-Arbeiter.“

(Auszüge aus dem Gespräch mit Herrn Erdoğan)

Offenkundig bildete der Kreis im Umfeld der Carl-Duisberg-Gesellschaft, in welchem sich Herr Erdoğan bewegte, nur einen begrenzten Teilausschnitt innerhalb der Gesamtgruppe der TürkInnen in Hannover. Herr Erdoğan hatte weder Berührung mit den Mitgliedern der Türk Talebe Cemiyeti, welche sich bekanntlich in Räumen der TH trafen, noch scheint er nicht-akademische Kreise — jenseits seines Zirkels — groß zu Kenntnis genommen zu haben.

Umgekehrt schauten auch die TTC-Mitglieder kaum über den Tellerrand ihrer Vereinigung hinaus. Auch auf hartnäckig wiederholtes Nachfragen konnten sich die befragten Zeitzeugen kaum erinnern, wie denn die andere, die nicht-studentische Hälfte der community ausgesehen habe. Gleichwohl empfanden sich die Aktiven der TTC als Dreh- und Angelpunkt der gesamten community, die im Rückblick — trotz der offenkundigen Zersplitterung in mindestens drei weitgehend voneinander unabhängige soziale Verkehrkreise — als „einheitlich“ erinnert wird.

Dieses Motiv der Betonung der in einer — heute längst vergangenen — Frühzeit stattgehabten „Einheit“ in Abgrenzung zur späterhin eingetretenen „Zersplitterung“ fand sich mehrfach in den Gesprächen mit den Zeitzeugen der 50er und 60er Jahre. In Herrn Samsunlus Darstellung waren es vor allem politische Polarisierungen, die die „Einheit“ zerstörten.

„Damals gab es keine Zersplitterung unter den Türken wie heute. Wir waren auch nicht politisch aktiv. Wir waren einfach Landsleute, die sich zusammengetan hatten.“

(Auszug aus dem Gespräch mit Ahmet Samsunlu)

Herr Erdoğan hingegen bezieht sich auf einen angeblichen ‚Niveauverfall‘, der mit der Massenzuwanderung eingetreten sei. Dies wird besonders deutlich in Passagen, in welchen Herr Erdoğan sich an den „Verein türkischer Arbeiternehmer“ erinnert:

„Der erste türkische Verein war der ‚Türkische Arbeiterverein‘, das muß so 1964/65 gewesen sein. Obwohl wir Akademiker waren und ein Betriebsleben von innen gar nicht kannten, waren wir alle dort Mitglied. Aber wir wollten halt zusammenbleiben und uns hat es nicht gestört.“

(Auszug aus dem Gepräch mit Herrn Erdoğan)

Der Arbeiternehmerverein erschien ihm also als eine Art Verlängerung seiner akademisch geprägten, offenen Gruppe bei der Carl-Duisburg-Gesellschaft, an welcher ja auch schon einige VW-Arbeiter teilgenommen hatten. Überraschenderweise berichtete Herr Erdoğan dann, der Verein sei kurz nach 1967 aufgelöst worden — was nicht den Tatsachen entspricht. Die Ursache hierfür sei der Verlust des familiären Zusammenhalts durch den Zustrom tausender neuer Migranten gewesen.

„Wir waren eine Art Familie mit 34 Mitgliedern gewesen. Aber durch meine Dolmetschertätigkeit [...] habe ich die nachkommenden Türkinnen und Türken kennengelernt, und das waren völlig andere Menschen, Menschen, die ich in der Türkei wahrscheinlich niemals kennengelernt hätte.“

(Auszug aus dem Gepräch mit Herrn Erdoğan)

Herr Erdoğan deutete dann an, daß es vorrangig Menschen mit zwielichtiger Vergangenheit gewesen seien.

„Es waren zwar nicht alle so, die nach 1967 hierher kamen, aber man hat da schon eine Distanz zu denen aufgebaut. Mit denen wollte man privat nichts zu tun haben.“

(Auszug aus dem Gepräch mit Herrn Erdoğan)

In dieser Schilderung reflektiert sich zunächst einmal das Ressentiment der frühen, akademischen Pioniereinwanderer gegenüber den Arbeitsmigranten, durch deren massenhafte Präsenz sie selbst einen drastischen Prestigeverlust in der hannoverschen Öffentlichkeit hinnehmen mußten, wurden sie doch jetzt auf der Straße mit dem ‚Pöbel‘ in einen Topf geworfen und als ungebildete ‚Gastarbeiter‘ verkannt. Ex post verklärt sich so die Zeit vor 1967 — bevor der sprunghafte Zuwachs der türkischstämmigen Einwohnergruppe einsetzte — in Herr Erdoğans Erinnerung zu einer Art „Goldenem Zeitalter“, das er explizit mit der Vorstellung einer einheitlichen „türkischen Kolonie“ zusammenbringt, einer Einheit, die erst durch die Massenzuwanderung gesprengt worden sei. Der Wunschanteil an dieser Vorstellung von Einheit ist offenkundig.

Die tatsächliche Geschichte des Arbeitnehmervereins — soweit sie aus öffentlich zugänglichen Akten[19] und Zeitzeugenbefragungen zu erschließen ist — zeigt insgesamt ein anderes Bild. Sie ist zumindest für die 60er Jahre nur auf dem Hintergrund der festen Bindung des Vereins an die Arbeiterwohlfahrt (AWO) richtig zu verstehen. Wegen ihrer Kirchenferne[20] war die AWO 1962 vom Bundesinnenministerium mit der Sozialbetreuung der angeworben ArbeitsmigrantInnen aus der Türkei beauftragt worden.[21] Nachdem ein anfängliches Experimentieren mit ehrenamtlichen Lösungen unbefriedigend verlief, gründete die AWO eine besondere Abteilung namens „Türk Danış“ (dt.: Türkische Beratung), für welche gezielt türkischmuttersprachliche Sozialberater engagiert wurden. 1965 wurde auch in Hannover eine Türk Danış-Beratungsstelle eröffnet, zunächst mit einem zweiköpfigen Team.[22] Die Dienste dieser — zwischenzeitlich auf vier türkischsprachige BeraterInnen angewachsenen — Einrichtung werden auch heute noch oft und ausgiebig von Mitgliedern der deutsch-türkischen Minderheit in Anspruch genommen.[23] In der Zeit bis zur Professionalisierung 1965 versuchte jedoch auch die AWO Hannover — trotz ihrer Zuständigkeit auch für ein weites Einzugsfeld um Hannover herum — sich mit der Förderung von ehrenamtlicher Selbsthilfe unter den ArbeitsmigrantInnen zu behelfen. Deshalb nahm die AWO Arif Aydoğdus Initiative zur Gründung eines Arbeitervereins von Anfang an unter ihre Fittiche. Wie stark man sich in die Vereinsangelegenheiten einmischte, zeigte sich schon in dessen Gründungsphase: Der gesamte Schriftverkehr mit dem Vereinsregister wurde vom Vorsitzenden der AWO Hannover geführt, wie auch die ersten Sitzungsprotokolle des Vereins von ihm gegengezeichnet wurden. Darüber hinaus wurde mit Veysi Baykal ein Mann zum Vereinsvorsitzenden gewählt, der praktisch als Statthalter der AWO fungierte. Später wurde er auch der erste festangestellte türkischsprachige Sozialberater der AWO in Hannover.

Das Vorgehen der hannoverschen AWO entsprach ziemlich genau den Vorgaben, die von der Bundeszentrale in Bonn kamen: Unter Berufung auf die Prinzipien der Hilfe zur Selbsthilfe sollten die AWO-Ortsgliederungen vorrangig die Gründung von türkischen Arbeitervereinen unterstützen.[24]

„Wir haben deshalb türkische Arbeitnehmer angeregt, sich in Gruppen und Vereinen zusammenzuschließen, um diese Werte zu pflegen und darüber hinaus Formen der Selbsthilfe zu entwickeln. Von Köln aus, wo der erste Verein dieser Art entstand, hat der Gedanke schnell um sich gegriffen. [...] Diese [Vereine] sind die Schiene, über die die kulturelle Betreuung abgewickelt wird. [...] Auf jeden Fall haben die Vereine bisher die Funktion erfüllt, Mittler zwischen uns und den türkischen Arbeitern zu sein.“ (Auszug aus einer offiziellen Stellungnahme eines AWO-Funktionärs)[25]

In der Praxis lief dies aber vor allem darauf hinaus, sich einen kostengünstigen Transmissionsapparat für eine Betreuungsarbeit zu schaffen, für welche den Ortsgruppen meist allein schon die Sprachkompetenz fehlte. Als Vorbild für all die später erfolgten Vereinsgründungen diente der im vorstehenden Zitat erwähnte „Verein türkischer Arbeitnehmer in Köln e.V.“, welchen der frisch gekürte Leiter der „Zentralstelle für Beratung und Förderung türkischer Arbeiter“ bei der AWO-Hauptstelle in Bonn selbst als Gründungsvorsitzender initiiert hatte.[26]

In Hannover wollte dieses Konzept allerdings nicht so recht klappten. Bereits im April 1964 hatte sich soviel Unmut über die Arbeit Baykals im Vorstand des Vereins aufgestaut, daß dieser — nach nur sechs Monaten Amtszeit — auf einer Vollversammlung nach heftiger Kritik abgesetzt wurde. Der damalige Vorsitzende des Türk Talebe Cemiyeti mußte als neutraler Interimsvorsitzender einspringen, um die Erregung über die angebliche Selbstbereichung und Willkür Baykals zu beschwichtigen. Auch danach blieb ein gereiztes Klima für die Arbeit des Vereins auf Dauer bestimmend. Beschlußunfähigkeit wegen mangelnder Anwesenheit sowie Vorwürfe und Anschuldigungen gegen die jeweiligen Vorstände kennzeichneten die Vereinsversammlungen der ersten Jahre. Auch bekämpften sich die beiden Flügel, die sich um die Leitfiguren Baykal und Aydoğdu gebildet hatten, in der Konkurrenz um die Führungsposition heftig. Dies gipfelte 1966 in einem Telegramm an den türkischen Botschafter in Bonn, in welchem die Vollversammlung des Arbeitnehmervereins unter Vorsitz Aydoğdus den Botschafter aufforderte, für die Entfernung Veysi Baykals aus dem Betreuungsdienst der AWO zu sorgen. Im darauffolgenden Jahr jedoch obsiegte wiederum Baykal bei den Wahlen zum Vereinsvorstand, was den Aydoğdu-Flügel dazu veranlaßte, zunehmend eigene Veranstaltungen unter Umgehung der AWO zu organisieren.

Gleichwohl leistete die AWO und ‚ihr‘ Verein in diesen Jahren einen wichtigen Dienst, indem sie den immer zahlreicher in der Stadt lebenden Arbeitsmigranten einen — wenn auch behelfsmäßigen — Treffpunkt abseits des Hauptbahnhofs anbot. Dabei handelte es sich um eine Barracke, die zum Lehrlingswohnheim der AWO am Waterlooplatz gehörte und ungefähr 40 Personen Platz bot.[27] Später — vermutlich im Laufe des Jahres 1968[28] — konnte man in bessere Räumlichkeiten der AWO im Büssingweg 4 umziehen. Diese Begegnungstätte bestand bis Mitte 1973, dann wurde sie von der AWO aufgegeben:

„Die Begegnungsstätte ist am 30.6. d.J. geschlossen worden. Dafür waren zwei Gründe maßgebend, nämlich: 1. Der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt erhielt bisher vom Bund und von der Bundesanstalt für Arbeit Mittel für solche Zwecke. Aufgrund der Sparmaßnahmen wurden dieses Mittel gekürzt, so daß der Bundesverband sich veranlaßt sah, wenig erfolgreiche Begegnungsstätten nicht mehr zu bezuschussen. 2. Nach Auskunft von [...] lohnte es sich auch nicht mehr, weil der Besuch sehr zurückgegangen war und außerdem die Begegnungsstätte abzusinken drohte in einen reinen Gaststättenbetrieb.“

(Auszug aus einer Aktennotiz der Stadtverwaltung vom 25.7.1973)

Auch war die Begegnungstätte in den letzten Jahren ihrer Existenz nur noch formal Sitz des Türkischen Arbeitnehmervereins, da dieser mit Beginn der 70er Jahre aufgrund interner Machtkämpfe praktisch aufhörte zu existieren. Da diese Auseinandersetzungen Teil der mit den 70ern einsetzenden radikalen Politisierung der MigrantInnen aus der Türkei waren, werden sie weiter unten erörtert. Zunächst jedoch soll hier die Analyse der Entwicklung in den 60er Jahren abgeschlossen werden, wobei die Gründung eines Generalkonsulats, die Schaffung des ersten permanenten islamischen Gebetsraumes und das Auftauchen türkischstämmiger Selbständiger im städtischen Handel und Gewerbe hervorzuheben sind.

Überblickt man die Entwicklung in der zweiten Hälfte der 60er Jahre, so kann man vier Einflußzentren innerhalb der Einwanderungsgruppe aus der Türkei identifizieren:

  1. Das akademische Milieu, das zunehmend von bereits im Berufsleben stehenden Ingenieuren, Architekten oder Ärzten repräsentiert wurde. Ende 1967 waren in Hannover mindestens fünf Architekten, fünf Ingenieure und zwei Ärzte türkischer Herkunft ansässig.[29] Der Studentenverein hingegen verlor aufgrund der kontinuierlich sinkenden Studentenzahl (siehe Tabelle 5) seine frühere, zentrale Stellung.
  2. Tabelle mit Zahl der türkischen Eingewanderten 1950-1962

    Quelle: Siehe Fußnote 35

    Tabelle 5: Studierende aus der Türkei an der TH/TU Hannover (1960-1972)

  3. Die Sozialbetreuer der Arbeiterwohlfahrt, von denen mehrere sich parallel zu ihrer Tätigkeit bei der AWO als kommerzielle Dolmetscher (z.B. Nazmi Altuğ (†1995) und İlyas Türksoy) oder als Reisebürobetreiber etablierten (z.B. Veysi Baykal). Selbst den Kindern der Mitte der 60er Jahre eingewanderten ArbeiterInnen ist heute noch der Name Baykal ein Begriff. „Geh' erstmal zu Baykal, der wird Dir schon helfen“, das habe man damals als Neuankömmling oft gehört.
  4. Das Umfeld der Generalkonsulats der Republik Türkei, das am 22. Mai 1966 mit Sitz am Engelbosteler Damm 1 eröffnet wurde.[30] Bis dahin hatte ein Deutscher als Honorarkonsul die Geschäfte geführt: Seit April 1954 war der Direktor der Kali-Werke, Gustav Schmelz, als türkischer Honorarkonsul akkreditiert. In der Verwaltung seiner Firma (Prinzenstraße 12) hatte Schmelz ein Büro für die konsularischen Aufgaben bereitstellen lassen. Die Führung der Alltagsgeschäfte oblag einem Angestellten der Kali-Werke, Klaus Marwede (†1991), der durch seine engagierte Amtsführung viel Respekt gewann. U.a. wurde er 1964 zum „Ehrenpräsidenten“ des Türkischen Arbeitnehmervereins ernannt. Die Verbindung des Arbeitnehmervereins zum zwei Jahre später eröffneten Generalkonsulat hingegen scheint eher schwach gewesen zu sein: Noch 1968 — zwei Jahre nach Errichtung des hannoverschen Konsulats — wurde ein Attaché des hamburger Konsulats nach Hannover gebeten, um als Vermittler eine schwierige Vollversammlung des Vereins zu leiten. Und 1969 wand sich das Konsulat an das Vereinsregister, um in Erfahrung zu bringen, wer denn eigentlich den Türkischen Arbeitnehmerverein gegründet habe.[31] Beide Indizien sprechen für ein kühles oder kaum vorhandenes Verhältnis zwischen Konsulat und Arbeitnehmerverein, für ein fundiertes Urteil hierüber wären allerdings weitere Recherchen erforderlich. Es darf aber vermutet werden, daß das Konsulat — anders als die AWO — keinen Bedarf für einen Vermittlungsapparat besaß, da es als paßausgebende Behörde unmittelbaren Zugriff auf alle türkischen Staatsangehörigen nicht nur in Hannover, sondern in ganz Niedersachsen zuzüglich Bremen hatte. Und auch zur Rekrutierung lokaler ‚Sherpas‘ war das Konsulat nicht auf die zerstrittenen Funktionäre des Arbeitnehmervereins angewiesen, hierfür konnte man problemlos auf das wohletablierte akademische Milieu zurückgreifen. So waren es zwei angehende türkischstämmige Architekten von der Technischen Hochschule Hannover, die nicht nur den Innenumbau der Konsulatsräumlichkeiten besorgten, sondern auch dem ersten Generalkonsul bei der Wohnungssuche für sein Privatquartier halfen. Beide wurden zunächst Angestellte des Konsulats, einer von ihnen machte sich jedoch nach einigen Jahren als Unternehmer selbständig. Andere Konsulatsangestellte taten es ihm später nach.
  5. Der 1969 erstmals offiziell in Erscheinung getretene „Verein zur Erhaltung des Islamischen Gebetsraumes in Hannover e.V.“. Dessen Bedeutung ist allerdings eher von langfristiger Natur, da hier die Keimzelle aller späteren Moscheegründungen in Hannover gebildet wurde. Den befragten Zeitzeugen jedoch war der Verein und sein kleiner Gebetsraum im Kellergeschoß des Hauses Körnerstraße 5 kein Begriff.

Religiöse Belange hatten in den ersten Jahren der Zuwanderung kaum eine Rolle gespielt. Zwar war auch die Türk Talebe Cemiyeti in den 60er Jahren dazu übergegangen, zumindest an den höchsten islamischen Feiertagen (Kurban- und Şeker-Bayramı; dt.: Opfer- und Zuckerfest) die erforderliche religiöse Gebetszeremonie zu organisieren, doch hatte es damit sein Bewenden.

„Unter den Studenten war das so... Von Bayram zu Bayram haben wir gesagt, wir müssen irgendwie beten. Dann haben wir uns Leute gesucht, die als Imame fungierten. Unter den Arbeitern haben wir meistens jemand gefunden, dann haben wir irgendwo einen Raum gemietet und dann haben wir unser Bayramgebet gemacht. Dann war das für uns schon erledigt.“

Auszug aus dem Interview mit Kemal Poyraz)

Das Bedürfnis nach einem festen Ort für gemeinschaftliche Gebete, also nach einer regelrechten Moschee, kam aus dem Milieu der Arbeitsmigranten. In der Literatur wird allgemein darauf hingewiesen, daß die Etablierung von Moscheen (und Koranschulen) ein typisches Phänomen der Phase des „Familiennachzuges“ gewesen sei, eine Phase, die man üblicherweise mit dem Anwerbestop von 1973 beginnen läßt.[32] Erst in dieser Zeit seien Frauen und Kinder in so großer Zahl aus der Türkei in die BRD gekommen, daß die Sorge für ein geregeltes Gemeindeleben auch in religiöser Hinsicht unabweislich geworden sei.[33] Legt man diese Periodisierung zugrunde, scheint die Gründung einer ersten hannoverschen Moschee bereits im Jahr 1969 eine Abweichung von der Regel darzustellen. Wenn man aber berücksichtigt, daß bereits Ende 1966 fast 150 Kinder und Jugendliche (0-15 Jahre) aus der Türkei in Hannover lebten, wird klar, daß die Einteilung der Zuwanderung in verschiedene Phasen nicht zu schematisch gesehen werden darf.[34]

Tatsächlich soll es sogar noch vor der Einrichtung des Gebetsraumes in der Körnerstraße verschiedene Anläufe gegeben haben, Räume für religiöse Zwecke zu mieten, doch keiner davon sei von Dauer gewesen. Die Anfänge für die letztlich erfolgreiche Initiative in der Körnerstraße müssen mehrere Jahre vor der förmlichen Gründung des Vereins am 27. Oktober 1969 liegen, ein Vereinsvertreter erklärte gegenüber der Stadtverwaltung sogar, man habe den Gebetsverein schon 1966 gegründet.[35] Auch die Anmietung der Räume in der Körnerstraße 5 erfolgte bereits ein halbes Jahr vor der offiziellen Vereinsgründung, nämlich zum 1. April 1969.[36] Es handelte sich hierbei um drei kleine Räume, die eigentlich als Lagerräume gedacht waren und von den Mitgliedern in Eigenarbeit für den neuen Zweck hergerichtet werden mußten. Wegen der geringen Größe — alle drei Räume zusammen hatte gerade 65 m² — platzte der Keller anläßlich der Bayramgebete aus allen Nähten: Eine Anwohnerin berichtete, während des Ramadan haben die Schuhe der Gläubigen fein säuberlich auf dem Bürgersteig nebeneinander aufgereiht die Straße herunter bis zum Haus Nr.8 gestanden, weil es dafür in den Räumen selbst keinen Platz gegeben habe.

Betrachtet man die Zusammensetzung der Gründungsversammlung (sechs Arbeiter, ein Student) wie auch den Stamm der späteren Aktivisten, so scheint es gerechtfertigt, den Gebetsverein als erste echte Eigeninitiative aus dem Milieu der Arbeitsmigranten zu interpretieren. Die führende Persönlichkeit war der Arbeiter İdris Alacalı, welcher bis heute in der rechts-islamistischen Szene tätig ist. Dieser Verein bekam in seinen Anfangsjahren von keiner Seite Hilfestellung, erst ab 1973 lassen sich Verbindungen zum Konsulat nachweisen. Daß die Gründung dieses Vereins zu einem dauerhaften Erfolg wurde — zeitweilig wies er über 250 Mitglieder auf —, ist auch Ausdruck der sprunghaften Entwicklung der türkischen Bevölkerungsgruppe in quantitativer wie qualitativer Hinsicht: Ihre Zahl vervierfachte sich zwischen 1968 und 1972 und erreichte im Jahr darauf bereits die Zehntausender-Marke. Gleichzeitig veränderte sich die Zusammensetzung dieses Bevölkerungssegments dramatisch. War das Wachstum der türkischen Bevölkerungsgruppe in Hannover bis 1968 immer direkt proportional zum Anstieg der türkischen[37] Beschäftigten in der Stadt verlaufen, was im Klartext heißt, daß der Zuwachs fast ausschließlich durch Anwerbung von Arbeitskräften bewirkt wurde, entwickeln sich ab 1969 die Beschäftigtenzahl und die Einwohnerzahl auseinander, so daß 1973 erstmals weniger als die Hälfte der Einwohner aus der Türkei beim Arbeitsamt Hannover als abhängig erwerbstätig gemeldet war.[38]

Die Ursache hierfür war bekanntlich der vom Gesetzgeber ausdrücklich erlaubte Nachzug von Familienmitgliedern, der auch dafür sorgte, daß das kraße zahlenmäßige Mißverhältnis zwischen Frauen und Männern sich allmählich abmilderte.[39] Der Familiennachzug war gleichzeitig auch dafür verantwortlich, daß der 1973 von der Bundesregierung verkündete „Anwerbestop“ zwar wie beabsichtigt zu einer einstweiligen Senkung der Zahl türkischer TeilnehmerInnen am Arbeitsmarkt der BRD führte, aber ohne Einfluß auf das Anwachsen der Zahl der EinwohnerInnen mit türkischen Paß blieb. Diese bundesweit festzustellende Entwicklung spiegelte sich auch in Hannover, wie sich an Tabelle 6 gut nachvollziehen läßt.

Die „ethnische Ökonomie“ — ein dornenreicher Markt
Die stetige zahlenmäßige Expansion der türkischen Diaspora in Hannover machte es möglich, daß eine nach und nach wachsende Zahl von türkischstämmigen Dienstleistern sich auf die besonderen Bedürfnisse dieser Klientel spezialisierte. Schon Mitte der 60er J ahre entstanden erste Büros, die Reisetickets verkauften und Export/Import-Geschäften mit der Türkei abwikelten. Die 1964 erstmals in Erscheinung getretene Firma „Bürotex Export-Import GmbH“ dürfte der Vorreiter gewesen sein, ihr Inhaber war Dipl.Ing. Erol Celikoğlu, also ein Mitglied der Gruppe der 50er-Jahre-Studenten.[40] 1967 tummelten sich schon fünf Anbieter (darunter auch Mitglieder der Familie Baykal) auf dem Export-Import-Sektor. Allerdings läßt die eher kurze Lebensdauer dieser Gründungen erkennen, daß das Marktsegment damals noch kaum tragfähig war. Ebenfalls im Jahr 1967 eröffnete das erste türkische Restaurant in Hannover: das „Bosporus“ in der Königsworther Straße 32.[41] Zahlreiche Besitzerwechsel in den nachfolgenden Jahren zeugen jedoch davon, daß auch dieser Geschäftsinitiative nicht viel Erfolg beschieden war. Offenbar hatte das, was man heute in der Literatur gern „ethnische Ökonomie“ nennt, während der 60er Jahre eher den Charakter des Nebenverdienstes. Ein typisches Beispiel hierfür war das Geschäft mit türkischsprachigen Kinofilmen, das zeitweilig so gut lief, daß von Hannover aus 15 verschiedene Kinos auch in anderen Städten wie Hamburg, Hildesheim, Salzgitter und Bremen mit türkischsprachigen Sondervorstellungen bespielt wurden.[42] Das durchaus gewinnträchtige Unternehmen mit der sonntäglichen Unterhaltung für die ArbeitsmigrantInnen aus der Türkei wurde von einem türkischen[43] Arbeiter in seiner Freizeit organisiert, anfänglich halfen ihm auch die damals noch angehenden Ingenieure Poyraz und Samsunlu dabei.[44] So wie sie versuchten auch andere, durch Nutzung ihrer Kontakte in die Türkei kommerzielle Nebeneinkünften zu erzielen, doch konnte offenbar kaum einer allein davon leben.

Nur im Bereich des Schneiderhandwerks sahen die Verhältnisse anders aus: Hier gelang es türkischen, griechischen und anderen MigrantInnen — bei entsprechenden Kenntnissen — mit eigenen Nähstuben der etablierten deutschsprachigen Konkurrenz einen rasch wachsenden Teil des Marktes abzunehmen. Zwar durften sie sich nicht „Schneidermeister(in)“ nennen, sondern wurden unter der abwertenden Bezeichnung „Flickschneider(in)“ geführt, doch zeigt der Ende der 60er Jahre einsetzende Gründungsboom, daß sie gleichwohl ihre Kunden fanden: Der erste von einer Migrantin aus der Türkei betriebene Schneiderbetrieb findet sich 1966 im städtischen Adreßbuch, 1968 sind es drei, 1970 schon neun, 1972 18 und 1973 schließlich 22.[45]

Zwar sind auch in diesem Bereich anfänglich Akademiker bzw. deren Ehegatten aktiv gewesen, doch das Gros der Neugründungen stammt hier offenkundig aus dem Milieu der ArbeitsmigrantInnen. Da auch heute noch die weitaus größte einzelne Gruppe der türkischstämmigen Selbständigen im Schneiderhandwerk aktiv ist, erfährt die weiter oben getroffene Aussagen, daß das ursprünglich akademische Milieu bei der Gründung von Geschäften eine Führungsrolle innehatte, eine wichtige Korrektur.

Im Handel mit Reisetickets rollte die nächste Welle von Geschäftsgründungen an. 1970 gab es bereits zwei türkische Reisebüros in Hannover, eines davon von Veysi Baykal geführt. 1972 waren es vier, ein Jahr später gab es bereits acht. Eines davon wurde von Raif Türk in der Sodenstraße betrieben. In seiner sehr wechselvollen beruflichen Karriere kondensieren sich typische Muster für die Lebensgeschichte vieler MigrantInnen seiner Generation: Herr Türk kam 1967 nach Hannover und arbeitete als gelernter Maurer auf dem Bau. Ende des Jahres 1969 erfuhr er davon, daß ein anderer Migrant aus der Türkei mit der Gründung eines Lebensmittelgeschäftes in der Sodenstraße gescheitert war. Herr Türk übernahm die Räumlichkeiten und machte ein kombiniertes Reisebüro und Export/Import-Geschäft daraus. Parallel dazu arbeitete er aber auch weiterhin auf dem Bau. Als 1974 die Preise für Flugtickets in die Türkei stark verfielen, ging sein Laden pleite. Herr Türk stieg daraufhin in das Geschäft mit den türkischen Kinofilmen ein und organisierte 1975-76 türkischsprachige Sondervorstellungen in Bremen und Hannover. Doch mit dem Videorekorderboom verschwand das Publikum und so mußte Herr Türk zurück auf den Bau. 1982 stieg er gemeinsam mit einem Partner erneut in die Selbständigkeit ein und eröffnete im Stadtteil Linden ein Lebensmittelgeschäft, das aber nach einem Jahr schon wieder aufgegeben werden mußte. Herr Türk versuchte sich daraufhin mit einem Imbiß in Burgdorf — dieses Mal zwang ihn eine schwere Operation zur Aufgabe. Heute hilft Herr Türk, durch Krankheit zum Frührentner geworden, nur noch im Reisebüro seines Schwiegersohnes aus. Doch die Geschäfte liefen allgemein schlecht, so seine Klage, da es entschieden zuviele türkische Reisebüros in Hannover gebe, die sich einen ruinösen Preiswettbewerb lieferten.

Der Weg in die Selbständigkeit war und ist nicht nur für Herrn Türk, sondern für ArbeitsmigrantInnen insgesamt außerordentlich dornig. Wenn es heute trotzdem zwischen 500 und 1.000 türkischstämmige Selbständige in Hannover gibt, so liegt das vor allem an der überproportionalen Betroffenheit durch Arbeitslosigkeit in der Gruppe der Türkischstämmigen in Relation zu Gesamtbevölkerung des Arbeitsamtbezirks Hannover. Dies sollte beim heute so häufig zu hörenden euphorischen Gerede über das Entstehen einer neuen Mittelschicht unter den Türkischstämmigen nicht vergessen werden.[46]

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Hinweis des Autors
Der vorliegende Text wurde 1999 als Abschlussbericht des Projekts „Gemeindestrukturbildung und ethnisches/religiöses Protestpotential bei türkischstämmigen Migrantinnen und Migranten in Niedersachsen“ an die Förderinstitution fertigestellt und seither nicht publiziert. Die hier vorliegende Onlinefassung von 2021 stellt somit die Erstveröffentlichung dar. Das Copyright liegt beim Autor.

Fußnoten

1
Dieser Höchststand wurde erst im Wintersemester 1980 mit 95 Studierenden aus der Türkei wieder erreicht und zugleich übertroffen. Da die Statistik des Immatrikulationsamtes der Universität Hannover aufgrund mehrerer Wechsel im verwendeteten EDV-System nur bis in die 80er Jahre zurückreicht, mußte zur Erstellung einer vollständigen Zeitreihe bis 1950 auf verschiedene Quellen zurückgegriffen werden. In den 50er und 60er Jahren wurden Semesterstatistiken in den Personen- und Vorlesungsverzeichnissen veröffentlicht, später erschienen sie im Studienführer der TU/Universität. Für die erste Hälfte der 50er Jahre jedoch mußte das Ausländerstammbuch der TH Hannover (siehe vorige Fußnote) von Hand ausgewertet werden.
2
Ihr Anteil an den Studierenden an der TH Hannover betrug das Vierfache des Bundesdurchschnittes. 1961 kamen auf 229.520 Studierende insgesamt an den wissenschaftlichen Hochschulen der BRD 1.200 Studierende aus der Türkei, was einem Anteil von 0,52% aller Studierenden entspricht. Ihr Anteil unter den Immatrikulierten an der TH Hannover hingegen lag bei 1,90% (89 von 4.671). (Zahlen nach: Pfeiffer, Heinrich Ausländische Studenten an wissenschaftlichen Hochschulen in der Bundesrepublik und West-Berlin, 1951-1961 Wiesbaden 1962 S.2 und S.10; Stadt Hannover Statistischen Vierteljahresberichte Hannover 1961; Technische Hochschule Hannover Personen- und Vorlesungsverzeichnis WS 1962/63 Hannover 1962)
3
Kriegseintritt gegen Deutschland erst im Februar 1945.
4
Aachen, Berlin, Braunschweig, Clausthal, Darmstadt, Karlsruhe, München und Stuttgart.
5
Oehler, Christoph; Pabel, Hermann Das Studium der Ausländer an den wissenschaftlichen Hochschulen in der Bundesrepublik. Ergebnisse einer Erhebung Bonn 1967; hier: Tabelle 6 im Anhang S.111
6
Die letzten verläßlichen Zahlen stammen vom Stichtag 31.12.1995: Zu diesem Zeitpunkt gab es 24.155 HannoveranerInnen mit türkischem Paß. Davon waren zum Wintersemester '95/96 276 an der Universität, 51 an der Medizinischen Hochschule, ?? an der Tierärztlichen Hochschule und 52 an der Fachhochschule Hannover immatrikuliert.
7
Offizieller Feiertag („Tag der Jugend“) in der Türkischen Republik.
8
o.V. „Der 19. Mai in Hannover gefeiert“ in: Mitteilungen der Deutsch-Türkischen Gesellschaft Bonn 1957 (Jg.4 Nr.16) S.7; siehe auch: ama „Torte und Smyrna-Riesling. Türkische Studenten luden ein“ in: Hannoversche Allgemeine Zeitung Hannover 1957 (Jg.9 Ausgabe vom 21.5.) S.10; o.V. „Im Zeichen des Halbmondes. Türken feierten Fest der Jugend und des Sportes“ in: Hannoversche Presse Hannover 1957 (Jg.12) S.9
9
Bei einem offiziellen Dollarkurs von 2,82 TL betrug die Prämie 6,20 TL. Der effektive Kurs für die DM stieg durch die Prämie auf 2,16 TL, zuvor hatte die DM 0,67 TL gekostet!
„[Es wird] keinerlei Devisen-Abgabe-Prämie auf Abgaben an Interessenten, die in Übereinstimmung mit den bereits vor dem 4. August 1958 in Kraft gewesenen Gesetzen und Verordnungen zur Ableistung ihrer Studien oder zu ihrer praktischen Ausbildung sich ins Ausland begeben haben und auf Grund der ihnen in diesem Zusammenhang erteilten Devisen-Ankaufs-Genehmingung für die bis zum Abschluß ihres Studiums und ihrer Ausbildung verbleibende Restzeit Devisen erwerben, erhoben und diese Abgabe-Prämie aus dem Devisen-Deckungsfonds selbst gedeckt.“ („Neue Devisenkurse und Außenhandels-Bestimmungen in der Türkei“ in: Mitteilungen der Deutsch-Türkischen Gesellschaft Bonn 1959 (Jg.5 Heft 30) S.14-17; hier: S.15)
Die Militärregierung beseitigte das alte Abgabe-Prämiensystem, setzte gleichzeitig aber die Tauschkurse für Devisen genau um den Betrag der abgeschafften Prämie hoch. Unterm Strich kostete also 1 DM immer noch 2,16 TL — nur gab es keine Vergünstigungsmöglichkeit durch Befreiung von der Abgabe-Prämien mehr.
Die sog. „Grundsätze für die Zulassung von Studienbewerbern nichtdeutscher Staatsangehörigkeit mit ausländischem Reifezeugnis zum Studium an den wissenschaftlichen Hochschulen in der Bundesrepublik“ wurden von den Kultusministern der Länder im April 1961 beschlossen. Über die Auswirkungen im einzelnen siehe: Ehling, Manfred Als Ausländer an deutschen Hochschulen. Das Studium von Ausländern in der Bundesrepublik — historische, theoretische und soziale Aspekte Darmstadt 1987 S.63ff
Alle Zahlen über türkische Studienanfänger 1957/1962 entnommen aus: Oehler/Pabel Das Studium der Ausländer an den wissenschaftlichen Hochschulen in der Bundesrepublik Tabelle 6 im Anhang S.111
Nach einer umfassenden Erhebung über den Studienverlauf bei ausländischen Studierenden in der BRD kam zum Vorschein, daß gerade bei Studierenden aus der Türkei die Quote derjenigen, die ohne Examen das Studium — zumindest in der BRD — beendeten, sehr hoch lag. Für die Studienanfänger des Wintersemesters 1957/58 wurde eine Abbrecherquote von 57,9 Prozent festgestellt. Siehe: Oehler/Pabel Das Studium der Ausländer an den wissenschaftlichen Hochschulen in der Bundesrepublik Tabelle 10 im Anhang S.127
Yalçın-Heckmann, Lâle „Imagining ‚us‘ as Migrant Diaspora. Sentiments, History, and Identity among Turkish Migrants in Germany and France“ in: Bozdemir, Michel (Hg.) Turcs d'Europe ... et d'ailleurs Paris 1996 S.333-348 (Les Annales de l'autre Islam Bd.3); dies. „The Perils of Ethnic Associational Life in Europe: Turkish Migrants in Germany and France“ in: Modood, Tariq; Werbner, Pnina (Hg.) The Politics of Multiculturalism in the New Europe: Racism, Identity, Community London [u.a.] 1997 S.95-110; Yalçın-Heckmann, Lâle; Unbehaun, Horst; Straßburger, Gabriele Die türkischen Kolonien in Bamberg und Colmar — ein deutsch-französischer Vergleich sozialer Netzwerke von Migranten im interkulturellen Kontext Universität Bamberg 1998 (dieser zum Zeitpunkt der Erstellung des vorliegenden Berichts noch unveröffentlicher Abschlußbericht für die VW-Stiftung wurde mir freundlicherweise von den Forscher*innen überlassen. Mittlerweile haben sie ihren Abschlussbericht auch online zugänglich gemacht.
Der Vollständigkeit halber soll auch erwähnt werden, daß formal der erste türkische Verein in Bamberg bereits 1967 ins Vereinsregister eingetragen wurde. Über diesen „Türkischen Kulturverein Bamberg und Umgebung“ schreibt Horst Unbehaun, dem die Recherche der Organisationsgeschichte innerhalb des bamberger Projekts oblag: „Diese Gruppe der ‚Dolmetscher‘ gründete Anfang 1967 einen fiktiven Verein, der nur auf dem Papier existierte, oder, wie Migranten dies ausdrücken, ‚in der Tasche des Vereinsvorsitzenden‘. Damit wurde eine einträgliches Geschäft mittels der Rechtsform eines Vereins gegenüber den deutschen Behörden legitimiert.“ (Unbehaun, Horst „‚Ethnic leaders‘ in lokalen Organisationen türkischer Migranten. Katalysatoren der Entwicklung einer Kolonie“ in: Waldhoff, Hans-Peter; Tan, Dursun; Kürşat-Ahlers, Elçin (Hg.) Brücken zwischen Zivilisationen. Zur Zivilisierung ethnisch-kultureller Differenzen und Machtungleichheiten. Das türkisch-deutsche Beispiel Frankfurt/M. 1997 S.197-212 (ZwischenWelten Bd.1); hier: S.201)
Näheres hierüber bei: Unbehaun, Horst „Les organisations d'immigrés Turcs de Bamberg et Colmar“ in: Bozdemir, Michel (Hg.) Turcs d'Europe ... et d'ailleurs Paris 1996 S.349-364 (Les Annales de l'autre Islam Bd.3); hier: S.350
Name geändert.
Die umfangreiche Akte des erst 1994 aufgelösten Vereins ist beim Vereinsregister Hannover unter der Signatur VR 2053 (ursprünglich: VR 1755) einzusehen und bietet gute Einblicke in das damalige Geschehen.
Hierzu: Thränhardt, Dietrich; Puskeppeleit, Jürgen Vom betreuten Ausländer zum gleichberechtigten Bürger Freiburg 1990 S.54 und 64
Später kamen weitere Gruppen hinzu (Jugoslawen 1969, Tunesier 1971, Marokkaner 1972), siehe: Tiedt, Friedemann Quantitative und qualitative Analyse des Nachfrage-, Leistungs- und Kooperationsprofils sozialer Dienste für Ausländer: Atlas. 1. Zwischenbericht Bonn 1987 (Forschungsbericht. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Bd.151; Sozialforschung) S.110f
AWO Hannover Migrationsarbeit o.J., online, zugänglich unter: http://www.nananet.de/institut/awo/seiten/migration.htm. (abgerufen 16.7.1998, Adresse obsolet)
Laut interner Statistik von Türk Danış werden 30-40 Beratungsgespräche pro Tag geführt, allerdings hat die Stelle nur an zwei Tagen pro Woche offenen Publikumsverkehr.
Tiedt Quantitative und qualitative Analyse des Nachfrage-, Leistungs- und Kooperationsprofils sozialer Dienste für Ausländer S.10
Zitiert nach: Thränhardt/Puskeppeleit Vom betreuten Ausländer zum gleichberechtigten Bürger S.166
o.V. „Türkische Gastreisen in die BRD“ in: Mitteilungen der Deutsch-Türkischen Gesellschaft Bonn 1962 (Jg.9 Nr.48) S.14
Darstellung nach den Erinnerungen Arif Aydoğdus.
Eine genaue Datierung dieses Umzuges war bisher nicht möglich.
Die Angaben beruhen auf eigenen Recherchen im Amtlichen Fernsprechbuch (Bd.5 Ortsnetz Hannover) und im Adreßbuch der Landeshauptstadt Hannover der Jahrgänge 1968/69 bzw. 1968, die jeweils den Stand vom Ende des Vorjahres wiederspiegeln.
Schriftliche Mitteilung des türkischen Generalkonsulats Hannover vom 1.3.1996.
Die von Generalkonsul Ordemir unterzeichnete Anfrage ist in der Vereinsregisterakte VR 2053 enthalten.
So z.B.: Spuler-Stegemann, Ursula Muslime in Deutschland: Nebeneinander oder Miteinander Freiburg im Breisgau [u.a.] 1998 (Herder-Spektrum Bd.4419) S.37
So z.B.: Doomernik, Jeroen „The Institutionalization of Turkish Islam in Germany and The Netherlands. A Comparison“ in: Ethnic and Racial Studies Henley-on-Thames 1995 (Jg.18 Heft 1) S.46-63; hier: S.48
Die Zahlen entstammen einer Sondererhebung des statistischen Amtes zum Stichtag 31.12.1966. In der Gruppe 0-5 Jahre waren 84 Kinder aus der Türkei erfaßt, in der Gruppe 6 bis 10 Jahre waren es 33 und in der Gruppe 11 bis 15 Jahre schließlich 29, insgesamt also 147 Personen unter 16 Jahren. Siehe: We. „Südeuropäer in Hannover“ in: Landeshauptstadt Hannover Statistischer Vierteljahresbericht der Landeshauptstadt Hannover Hannover 1966 (Jg.65 Heft 4) S.236-240; hier: Tabelle 3 S.238
Schreiben des Vereins an die Stadtverwaltung vom 17. November 1975.
Obwohl die Rechtsnachfolgerin des damaligen Vermieters freundlicherweise die Erlaubnis gab, die gesamten, sehr umfangreichen Vermietungsunterlagen jener Zeit einzusehen, war gerade zu diesem Mietverhältnis keinerlei Dokument mehr vorhanden. Doch in den Wassergeldabrechnungen des Hauses Nr.5 fand sich schließlich ab dem 1. April 1969 ein „Moslem-Verein“ als Mieter der Lagerräume im Keller.
„türkisch“ heißt hier und im folgenden: mit türkischer Staatsangehörigkeit.
Zur Verläßlichkeit der hier verwendeten statistischen Daten, insbesondere der Arbeitsmarktdaten, ist eine wichtige einschränkende Anmerkung notwendig: Die vom Arbeitsamt Hannover erfaßten Beschäftigtenzahlen beziehen sich auf den entsprechenden Arbeitsamtbezirk Hannover, der nicht nur erheblich größer als das Stadtgebiet von Hannover ist, sondern sich in den letzten 40 Jahren auch noch mehrfach verändert hat. Die in der Tabelle verwendeten Zahlen sind daher anhand der jährlich erfaßten Verhältniszahl zwischen Bevölkerungsgröße im Stadtgebiet und im Arbeitsamtbezirk (schwankt zwischen 0,62 und 0,66) umgerechnet worden, bieten somit trotz ihrer scheinbaren Präzision nur eine Annäherung an die realen Daten (allerdings die bestmögliche). Außerdem erfolgte seinerzeit die Erfassung der nach Nationalitäten aufgegliederten Beschäftigtenzahlen eher nachläßig, das Arbeitsamt Hannover selbst verfügt erst ab 1977 über brauchbare statistische Aufarbeitungen. Für die Zeit davor ist man auf handgeschriebene Rohdaten von wechselhafter Dichte verwiesen. Die letztlich beste Quelle sind die Zahlen in den Statistischen Vierteljahresberichten der Stadt Hannover, aber auch hier sind deutliche Lücken und Inkonsistenzen zu verzeichnen.
Exakte Zeitreihen zur Entwicklung des numerischen Geschlechterverhältnisses in Hannover sind für die Zeit von 1967 bis 1983 nicht verfügbar, da die Statistiken des Ausländerzentralregisters seit 1967 nur noch Frauen ab dem Alter von 16 Jahre gesondert ausweisen. Da entsprechende Zahlen für die Männer nicht registriert sind, ergeben die vorliegenden Zahlen für diesen Zeitraum ein falsches Bild. 1983 hätte demnach nämlich der Frauenanteil 27,5 Prozent betragen. Weil die Stadt 1983 aber wieder damit begonnen hat, selbst Daten zur Geschlechterverteilung der ausländischen Wohnbevölkerung zu erfassen, läßt sich feststellen, daß der Frauenanteil 1983 tatsächlich 43,2 Prozent betrug. Die letzten verläßlichen Daten des Ausländerzentralregisters stehen für 1966 zur Verfügung. Damals kamen in Hannover auf 1062 Männer aus der Türkei 252 Frauen, was einem Anteil von 19,2 Prozent entspricht. Im Jahr 1995 betrug das Verhältnis 46,9 Prozent. Schon diese drei Werte für 1966, 1983 und 1995 erlauben die begründete Annahme, daß das numerische Geschlechterverhältnis sich kontinuierlich angeglichen hat.
Das Adreßbuch der Landshauptstadt Hannover 1964 meldet diese GmbH mit Sitz in der Alten Celler Heerstraße 13, der Inhaber betrieb das Geschäft parallel zu seiner Tätigkeit als Ingenieur, also eher als Nebenverdienst.
Eine Anzeige im Amtlichen Fernsprechbuch (Bd.5 Ortsnetz Hannover) von 1968 (S.193) weist als Inhaber Orhan und Sabahat Gürvardar aus, über dieses Ehepaar ist darüber hinaus nichts weiter bekannt.
Informationen aus den Gesprächen mit Kemal Poyraz und Ahmet Samsunlu.
„türkisch“ heißt hier wie im folgenden: mit türkischer Staatsangehörigkeit.
Über die ‚Boomzeit‘ des türkischsprachigen Films in der BRD, die 60er und frühen 70er Jahre, gibt es fast keine Veröffentlichungen. Siehe aber: Pa. „Im ‚Globe‘ spielen sie jeden Abend eisern die englische Nationalhymne. Auch türkische, griechische und spanische Filme laufen in Hannover“ in: Hannoversche Allgemeine Zeitung Hannover 1968 (Jg.20 Ausgabe vom 20.11.); Günter, Winfried von „Kino für Gastarbeiter“ in: Medium. Zeitschrift für Hörfunk, Fernsehen, Film, Presse Frankfurt/M. 1975 (Jg.5 Heft 12) S.16-19
Zahlenangaben nach eigenen Auswertungen des Amtlichen Fernsprechbuch (Bd.5 Ortsnetz Hannover) und des Adreßbuch der Landeshauptstadt Hannover (Jahrgänge 1966 bis 1973).
Insbesondere in den zahlreichen Veröffentlichungen des Zentrums für Türkeistudien (Essen) werden die Schätzwerte zur Gesamtzahl türkischstämmiger Selbständiger jährlich nach oben korrigiert — sie streben mittlerweile auf die Zahl 40.000 zu —, was angesichts der dünnen empirischen Basis Anlaß zu Zweifeln gibt. Allein zwischen zwischen zwei Veröffentlichungen von 1993 und 1994 stieg die Zahl von 35.000 auf 37.000. Siehe: Şen, Faruk „1961 bis 1993: Eine kurze Geschichte der Türken in Deutschland“ in: Leggewie, Claus; Şenocak, Zafer (Hg.) Deutsche Türken. Das Ende der Geduld — Türk Almanlar. Sabrın sonu Reinbek bei Hamburg 1993 S.17-36; hier: S.27; Şen, Faruk; Goldberg, Andreas Türken in Deutschland. Leben zwischen zwei Kulturen München 1994 (Beck'sche Reihe Bd.1075) S.28