Hammet (†1691)

Hammet – Ein osmanischer Kriegsgefangener in Hannover (†1691)

Günter Max Behrendt

Auf dem ehemaligen Neustädter Friedhof am Königsworther Platz stehen zwei historische Grabsteine dicht bei einander, die nach heutigem Kenntnisstand die ältesten islamischen Grabstätten auf deutschen Boden markieren. Es handelt sich um die Gräber zweier osmanischer Kriegsgefangener aus der Zeit der zweiten Belagerung von Wien (1683).

Dieser Text wurde veröffentlicht in:

Titelseite Über das Leben hinaus

© Historisches Museum
Hannover

Historisches Museum Hannover (Hg.) Über das Leben hinaus. Ein Spaziergang über Hannovers Friedhöfe Hannover 2010 S.119-121
Der Beitrag erscheint hier mit freundlicher Genehmigung des Museums.

Weitere veröffentlichte Ergebnisse aus dem Forschungsvorhaben „Osmanen in Hannover“

Titelblatt der Geschichtsblätter Nr. 73

© Wehrhahn Verlag

„Ernst August Mustapha – ein Mann in zweiter Reihe“ in: Hannoversche Geschichts-
blätter (N.F.)
Hannover 2019 (Bd.73) S.25-45

Das ältere der beiden Gräber, das „Hammet“-Grab, ist für die Ausstellung als Modell im Maßstab 1:5 rekonstruiert worden. Es stammt aus dem Jahr 1691, wie die detail­reiche deutsche Inschrift des einen Grabsteines noch heute bezeugt:

„Nachdem die grosse türcksche Macht anno 1683 nach Wien gangen, u[nd] die selbe durch die Deutschen wieder vor aus getrieben die Türken aber sich wieder bey Berkan in Ober­ungarn mit M/12 Ma[nn] gesetzet bey welcher Action, so bey den genante Berkan ge­schehen, sich mit unter den Tuercken befunden der bey dieser Stel[le] begraben Türcke Ham­m[et] alwo er an einnen Capite gefangen worden welcher aber denselben Ihro Durch­l[aucht] die Hertzogin gegeben, welcher dan auch derselben gediente bey die 8 Jahr darauf gestorben und alhie begraben anno 1691.“

Übersetzt man die barocke Sprache in heutiges Deutsch, so besagt die Inschrift, dass der „Hammet“ genannt Verstorbene 1683 wenige Tage nach dem Entsatz des belagerten Wien bei Párkány („Berkan“) an der Donau in Kriegs­gefangenschaft geriet, anschließend als Kriegsbeute nach Hannover verschleppt wurde und hier am Welfen-Hofe bis zu seinem Tode 1691 der Herzogin Sophie als Lakai diente.

Ernst August Mustapha, Detail aus „Die Revue bei Bemerode“ 1738

Foto: commons.wikimedia.org

Mustapha, der osmanische Kammerdiener König Georgs I. (erkennbar am roten Mantel). Ausschnitt aus dem Ölgemälde Revue der kurhannoverschen Armee bei Bemerode von Johann Friedrich Lüders 1739. Leihgabe von SKH Ernst August, Prinz von Hannover

Dies war in der damaligen Zeit nichts Ungewöhnliches, vielmehr gehörte die Ver­fügung über fremdländische, möglichst exotische Lakaien im ausgehenden 17. Jahrhundert zu den Standards einer prunkvollen Hofhaltung. In den Jahren zwischen 1683 und 1699 warben die Welfen, aber auch andere Adelshäuser in und um Hannover aktiv solche „Beute-Türken“ als Status­symbole ein, sodass zeitweilig zwischen zehn und zwanzig Osmanen – Männer wie Frauen – in Hannover lebten.

Hammet gehörte dabei sicher zu ersten Osmanen in Hannover. Tatsächlich gerieten bei der Schlacht von Párkány mehr als 5.000 osmanische Soldaten in Kriegs­gefan­genschaft. Da auf der Seite der Sieger auch ein hannoversches Trup­pen­kontingent (Bataillon „Palland“) in Begleitung zweier Welfenprinzen beteiligt war, ist der Bericht des Grab­steins in dieser Hinsicht völlig glaubhaft.

Das wirklich Außergewöhnliche an Hammets Grab ist aber die Tatsache, dass er nach islamischem Ritus begraben wurde, im Gegensatz zu seinen Landsleuten, die in der Regel zwangsgetauft wurden. Sein Grab hatte deshalb ursprünglich zwei Grabsteine, deren Achse im rechten Winkel nach Mekka ausgerichtet war. Den Fußstein bildete der noch vorhandene Stein mit der oben wiedergegebenen deutschen Inschrift. Der heute verlorene Kopfstein des Grabes trug eine osmanische Inschrift, welche den Verstorbenen in arabischen Lettern der Gnade Allahs anvertraute.

Ein solches Grab eines „Ungläubigen“ durfte selbstverständlich nicht auf dem christ­lichen Neustädter Friedhof stehen, sondern musste außerhalb der Friedhofs­mauern errichtet werden. Dass es heute trotzdem mitten auf dem Gelände des ehemaligen Friedhofes steht, ist vermutlich der Errichtung der Häuser an der Körnerstraße (circa 1870) geschuldet, die direkt bis an die Friedhofsmauer heranreichen.

Auch bei dieser Umsetzung blieb die ursprüngliche Grabanlage mit zwei Grabsteinen und der Ausrichtung nach Mekka erhalten. In dieser Form überlebte das Grab sogar die Bombenteppiche des zweiten Weltkrieges unbeschädigt. Erst bei der Neuanlage des ehemaligen Friedhofes als moderne Grünfläche um 1952 verschwand leider der zweite Grabstein mit der osmanischen Inschrift spurlos.

Zwar stehen auch heute noch zwei Steine nebeneinander auf dem ehemaligen Fried­hof, doch beweisen historische Fotographien und andere Quellen, dass sie von zwei verschiedenen Gräbern stammen: Neben Hammet war noch ein weiterer muslimischer Kriegsgefangener namens Hassan begraben, über den man allerdings so gut wie nichts weiß, weil sein Grab keine Inschriften trug. Sicher ist nur, dass die beiden erhaltenen Grabsteine jeweils den Fußstein der besagten Gräber darstellen.

Die osmanische Inschrift auf Hammets Grab ist zum Glück in besagten historischen Quellen so gut dokumentiert, dass Prof. Dr. Klaus Kreiser vom Lehrstuhl für türkische Sprache, Geschichte und Kultur der Universität Bamberg 2001 derer folgende Über­setzung erstellen konnte:

 

Verwendete Literatur (Auswahl):

Heller, Hartmut „Muslime in deutscher Erde: Frühe Grabstätten des 14. bis 18. Jahrhunderts“ in: Höpp, Gerhard; Jonker, Gerdien (Hg.) In fremder Erde. Zur Geschichte und Gegenwart der islamischen Bestattung in Deutschland Berlin 1996 S.45-62 (Zentrum Moderner Orient, Arbeitshefte Bd.11)

Spies, Otto „Türkische Kriegsgefangene in Deutschland nach den Türkenkriegen“ in: Erwin Gräf (Hg.) Festschrift Werner Caskel zum siebzigsten Geburtstag 5. März 1966 gewidmet von Freunden und Schülern Leiden 1968 S.316-335

Zimmermann, Helmut „Die ersten Türken in Hannover waren Kriegsgefangene“ in: ders. Menschen und Werke. Streiflichter aus Hannovers Geschichte Hannover 1996 S.175-180

„Der zu den [im Jahr] 1097 [A.H.=1685/86] in Temeschwar [ausgehobenen] Sipâhîs gehörende Sipâhî Mehmed starb nach acht Jahren. Die Gnade Gottes möge über ihn kommen, der seiner Seele auf immer die Erkenntnis [Gottes] gebe.“

Der Text ist in Osmanisch-Türkisch, der Sprache des osmanischen Heeres, abgefasst, entsprechend ist die Jahreszahl im muslimischen Kalender nach Hedschra angegeben. Wir können der Inschrift entnehmen, dass der Verstorbene eine Person von Stand war, denn er trug den Rang eines sipahis, das heißt, er war mit einem timar (kleines, nicht-erbliches „Ritter“gut) belehnt worden. Zweitens er hieß Mehmet oder Muhammed, was seine deutschsprachige Umwelt zu „Hammet“ verkürzte. Aufgrund der Erosion der Inschrift nicht endgültig geklärt, wenn auch recht wahrscheinlich, ist die Herkunft Hammets aus der heute in Rumänien gelegen osmanischen Provinz Temeschwar.

Die Rekonstruktion der ursprünglichen Grabanlage im Modell bietet heute erstmals wieder den Anblick, der auch schon zu Zeiten der Kürfürstin Sophie als bedeutende Couriosität der Stadt galt, nämlich eine deutsch-osmanische Fusion: osmanisch-muslimisch in der Ge­samtanlage, aber deutsch-barock in der künstlerischen Ge­staltung und Aus­führung. Hierzu zählt auch die teilweise fehlerhafte Ausführung der arabischen Schriftzeichen, die ein hannoverscher Steinmetz offenbar nach einer handschriftlichen Vorlage kopierte, so gut er konnte.

Diese Übersetzung und weitere Varianten diskutiere ich ausführlich in meinem Aufsatz: „Die osmanischen Gräber auf dem ehemaligen Neustädter Friedhof“ von 2006, den Sie ebenfalls hier nachlesen können.